Wenn Alex Albrecht aus sieben Buchstaben und einem Bindestrich zwei nicht enden wollende Silben formte und die Menschentraube vor der hell erleuchteten Tribüne zum Ausrasten brachte, durfte man nicht zimperlich sein, wenn man nicht mit leeren Händen nach Hause gehen wollte. T-Shirts, Mauspads und Headsets flogen ins Publikum und stillten den Sammeltrieb der knapp 2000 E-Sport-Fans, die den ESL Pro Series Finals Leben einhauchten. Eine Momentaufnahme aus längst vergangenen Zeiten. Alex Albrecht verabschiedete sich nach seinem 100. iFNG offiziell von der ESL-Bühne und auch vierstellige Zuschauerzahlen sind ein Relikt der Vergangenheit und nur noch Zahlen, die von einer vermeintlich besseren Vergangenheit erzählen. Die Electronic Sports League befindet sich mehr denn je in einer Zeit des Umdenkens, einer Phase, in der man scheinbar beginnt, die eigenen Standards zu hinterfragen.
Die kriselnde ESL Pro Series, einst das stolze Zugpferd der ESL, lahmt bereits seit langem und schleppt sich, beladen mit Altlasten der Vorjahre, mühsam von Saison zu Saison. Mittlerweile ist auch den Verantwortlichen an der Siegburger Straße nicht mehr entgangen, was Fans und Spieler seit Jahren monierten. Sinkende Zuschauerzahlen, sich leerende Ladders der Kerndisziplinen und ein Sascha „GoOdy“ Lupp, der mit seinem Ausstieg aus der EPS das Fass zum überlaufen brachte, zwangen die Macher hinter der mehr als 3.000.000 Mitglieder großen Liga umzudenken und Besserung zu geloben. Ausstehende Preisgelder sollen kontinuierlich ausgezahlt werden, die Übertragungsrechte, des in vielerlei Hinsicht gescheiterten Konzepts „ESL TV“ wurden teilweise ausgelagert und die Spieltage der deutschen Königsklasse werden zum Großteil nicht mehr aus den hauseigenen Studios übertragen, sondern aus TaKes und Knochens Wohnzimmer. Innovative IPTV-Formate rund um die ESL sind zwar nach wie vor Fehlanzeige, zumindest die Spieltage werden aber mittlerweile so übertragen, wie es die Zuschauer gerne hätten.
Die Verantwortung teilweise in andere Hände legen, das klappt bei der Fülle erprobter Streamer zwar erstaunlich gut, E-Sport zum Anfassen erschafft sich aber nicht so einfach. Die Zeiten, in denen Enthusiasten von virtuellen Wettkämpfen in Fußballstadien träumten, sind vorerst vorbei und so wirkt es verständlich, dass man auch oder gerade bei der Location fast schon demonstrativ neue Wege geht. Raus aus dem Schatten der riesigen Kölnmesse, Nachbargebäude des Tanzbrunnens, hin zu den alten Büroräumen im Turtle Entertainment Gebäude, die man zum Studio umgebaut hat. Das Ressourcen verschlingende Monster „Veranstaltungshalle“, das das eh schon überschaubare Budget der deutschen Königsklasse unbarmherzig schröpfte, wurde durch die neue „ESL Arena“ ersetzt, wie das neue TV-Studio von der Electronic Sports League getauft wurde. Ob ein Studio eine Halle auch nur annähernd ersetzen kann, wird sich zwar erst am kommenden Wochenende entscheiden, die ersten Fotos der damals noch unfertigen Location sehen jedoch vielversprechend aus. Keine Frage, wer den Umzug vom altehrwürdigen Tanzbrunnen in das viel kleinere „Arenachen“ im Turtle Entertainment Gebäude als großen Schritt in der E-Sport-Geschichte sehen möchte, muss schon ein unerschütterlicher Optimist sein oder mit der Schildkröte unterm Kopfkissen schlafen. Dennoch: Es tut sich etwas bei der ESL Pro Series und kleckern statt klotzen passt gut zu einer Liga, die sich als „kleiner Bruder der Intel Extreme Masters“ (Bastian Veiser, EPS-Produktmanager) im Schatten der internationalen Turniere mittlerweile ganz wohl fühlt.
Auch bei den Disziplinen hat man sich gesundgeschrumpft. Aus zwei Counter-Strike Titeln wurde erwartungsgemäß einer, Battlefield, Trackmania und World of Tanks, die alle noch in den letzten 12 Monaten in der ESL Pro Series gespielt wurden, hat man ersatzlos gestrichen. Selbst FIFA, das seit 2003 durchgehend in der Gaming Bundesliga vertreten war, hat man bereits vor einem Jahr über Bord geworfen. Ein längst überfälliger Schritt, schienen weder die Zuschauer noch die ESL selbst wirklich glücklich mit FIFA gewesen zu sein, und auch die umfunktionierten Caster anderer Spiele, die ständig für FIFA einspringen mussten, werden sich freuen nicht mehr gekünzelt auf die Stimmungstube drücken zu müssen. Ballast, den die EPS erfolgreich losgeworden ist, um Platz für neues zu schaffen.
Man scheint an der Siegburger Straße aus den Fehlern der vergangenen Monate und Jahre zumindest teilweise gelernt zu haben und auch wenn die Zeiten, als Tausende Zuschauer am Finals-Wochenende begeistert mit Alex „MadDog“ Albrecht um die Wette schrien, vorerst vorbei sind, hat man nun die Chance in vielerlei Hinsicht bessere Wege einzuschlagen und sich langsam an die Zeit nach dem großen Aufschwung zu gewöhnen. Die umfunktionierten Arbeitsräume als neue Location der deutschen Königsklasse sind dabei ein Heimspiel für die ESL, fing doch hier vor vielen Jahren alles an, als Nick Adams und Alex Albrecht mit minimalen Mitteln E-Sports in die Wohnungen transportierten. Ein Schritt zurück in die Vergangenheit, mit dem Ziel, zukünftig wieder kleine und überlegte Schritte nach vorne zu machen. Nur die T-Shirts müssen in Zukunft wohl auf dem Postweg zu den meisten Fans gelangen.
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